Sonntag, 28. September 2008

Heimkehr der verlorenen Tochter

Die honigsüße Heckenrose („Jangmi“) bläst uns hier gerade gehörig um die Ohren. Taifun Nummer 3 seit unserer Ankunft und der Stärkste dieser Saison. In den Nachrichten ist von Windgeschwindigkeiten bis zu 184 km/h die Rede, die uns morgen einen honigsüßen Couchpotatoe-Montag ohne Unterricht bescheren.
Fast hätten wir diesen in Taipeh bei Izns Verwandten verbringen müssen. Waren nämlich dieses Wochenende für eine Verwandten- und Sightseeing-Tour mit Baba Hsu gebucht, der dort 2 Monate Heimaturlaub macht.
Am Freitagnachmittag ging es nach der hiesigen Erstsemesterbegrüßungsparty mit reichlichem Buffet und Dosenbierwetttrinken – die Party fand übrigens bei 32°C im Schatten von 12-14 Uhr statt – mit der Taiwan High Speed Rail (THSR) und Tempo 300 in 90 Minuten nach Taipeh.
Dort wurden wir von Baba Hsu empfangen und sogleich in den relativ frisch eröffneten Imbiss von Onkel und Tante Hsu V. geführt. Ob wir Hunger hatten oder nicht, wir mussten was bestellen. Derart gestärkt ging es gleich auf den nahegelegen Nachtmarkt, denn wir hatten ja noch nichts fürs Abendbrot.
Mit Zuckerrohrstangen, gekochten Krebsen und Tintenfischen ging es weiter zur örtlichen Klamottenmeile, deren Gassen vor 22 Jahren aber noch viel breiter erschienen, oder war Izn damals einfach nur kleiner?! Jedenfalls war die letzte Mahlzeit dann auch schon wieder 30 Minuten her, so dass ein typischer taiwanischer Eisbecher als nächstes auf dem Speiseplan stand:

Er bestand unter anderem aus gemahlenen Eiswürfeln, Gelatine und Süßkartoffelklößchen… Nicht schlecht, aber ¼ davon hätte es auch getan… dabei hatten wir schon den Juniorteller!
Am nächsten Tag ging es nach dem obligatorischen Besuch des 101

und der Hafenpromenaden-Fressmeile in Danshui zur großen Freude von Izn in das National Palace Museum. Dieses beherbergt eine weltweit einzigartige Ausstellung chinesischer Kunstschätze aus den letzten 5 Jahrtausenden(!) oder auch einfach „ein paar alte Töpfe und Tassen in Vitrinen“ (Zitat Izn). Letztere wurde dann aber durch den anschließenden Besuch des Shilin-Nachtmarktes reichhaltig entschädigt.
Zufrieden, satt und müde machten wir uns dann nach einem 10 Std.-Tag auf den Rückweg zu unserem Nachtquartier bei Onkel und Tante Hsu IV., als das Handy von Baba Hsu klingelte. Wo wir denn blieben, so die Stimme von Izns Cousine. Ihr Vater, Onkel Hsu II. , bereite sich bereits seit 12 Uhr mittags auf ein Treffen mit der Heimgekehrten vor.
Also ging es noch schnell in den Lieblingsimbiss von Onkel Hsu II., wo dieser uns freudig begrüßte. Ehe wir uns versahen, wurde der Tisch mit diversen Leckereien gedeckt. Nach und nach folgten Cousine und Cousin zu Onkel II. sowie Onkel V., die uns alle leider nicht beim Essen helfen konnten, da sie ja, ganz im Gegensatz zu uns, schon gegessen hatten.
Als Sönke zu zögerlich zugriff, wurde er kurzerhand von Onkel Hsu II. mit Garnelen gefüttert. Es folgten u.a. Muscheln, Gänsemagen und Froschschenkel, begleitet von reichlich Taiwan Beer, das gemäß chinesischem Trinkspruch „gan bei“ (dt.: trocken Glas) aus kleinen Gläsern geext werden musste. Wer sagt eigentlich, dass Asiaten keinen Alkohol vertragen?! Onkel Hsu II. hat davon jedenfalls offenbar noch nie was gehört… der wollte nämlich gar nicht mehr aufhören…
Verblüfft hat ihn allerdings Sönkes Trinkfestigkeit, der fleißig einen Schnaps nach dem anderen mit ihm wegzukippen schien… Später fand Onkel Hsu II. jedoch heraus, dass Izns Cousin mit dem seltenen Gast aus dem Abendland Mitleid hatte und diesem immer nur Wasser statt Schnaps in sein Glas füllte.

Der Klassiker eben. Onkel Hsu II. hat das aber nicht weiter krumm genommen und versuchte noch, die Runde zum Weiterfeieren in der nächsten Karaoke-Bar zu animieren, danach könnten ja alle bei ihm übernachten, schließlich wohne er gleich um die Ecke.
Folgendes wurde von ihm mantraartig wiederholt, so dass zum Schluss sogar Sönke verstand, was gesagt wurde:

1. Die drei Onkel seien Brüder, er sei Lao II (zweitältester), Izns Vater sei Lao III, Onkel V sei Lao V. Wir würden bei Lao IV schlafen, Lao I würden wir morgen kennenlernen, hurra!

2. Die Cousine ist so alt wie Izn, aber einige (die genaue Zahl konnte nicht ermittelt werden) Monate älter, daher sei sie Izns große Schwester (das westliche Konzept der Cousine existiert auf Taiwan nicht und kann daher auch nicht in anderen Kulturkreisen existent sein, der deutsche Begriff Cousine ist entsprechend falsch, wie wir durch vorherige Diskussion mit Izns Vater bereits herausgefunden hatten). Entsprechend sei ihr Cousin (Jg. 74) ihr älterer Bruder.

3. Wenn Izn wieder 28, 30 oder auch 26 Jahre warten würde, bis sie nach Taiwan komme, werde er bereits das Zeitliche gesegnet haben, in 28 Jahren nur einmal gesehen. Er sei sehr glücklich über Izns Heimkehr und stoße bereits seit 12 Uhr darauf an, gan bei!


In der fröhlichen Runde wurde weiterhin ermittelt, dass Izn noch einen „jüngeren Bruder“ von Lao V. in Kaohsiung hat, flugs wurde dieser nachts um 12 angerufen und der perplexen Izn wurde mirnichtsdirnichts ein Handy ans Ohr gehalten. Freudig blickte die Runde auf Izn, die jetzt endlich mal ein Treffen mit der wahrscheinlich ebenso perplexen Stimme am Telefon arrangieren sollte.

Nach der üblichen Rauferei um die Bezahlung der Rechnung, die Izns „große Schwester“ für sich entscheiden konnte, musste Onkel Hsu II. sich frischmachen, und wir nutzten die Gunst der Stunde für ein taktisches Rückzugsmanöver mit Hilfe eines heimlich herbeigerufenen Taxis.

Am Sonntagmorgen zeigte sich die Heckenrose leider von ihrer stacheligsten Seite und wir fuhren in einer leicht panischen Aktion zurück nach Kaohsiung, denn wir wollten ja den morgigen Unterricht auf keinen Fall verpassen.
Es lag nämlich das Gerücht in der Luft, dass die Züge der Taiwan High Speed Rail (THSR) aufgrund des Taifuns am heutigen Tag ihren Dienst einstellen. Ein Blick in die Nachrichten hellte das Gerücht zunächst leider nicht auf und die Servicehotline der THSR war (oh welch Überraschung!) völlig überlastet. Also hatten wir uns fast mit einem verlängerten Wochenende bei Onkel und Tante Hsu IV. abgefunden und uns zu einem Mittagsschläfen abgelegt.
Aus diesem wurden wir dann aber durch die zarte Stimme von Tante Hsu IV. (ca. 106 db Standgeräusch, Stimmlage Bassbariton -nach dem Motto, jeder kann Chinesisch, man muss nur laut genug sprechen - sanft ins stürmische Diesseits geholt, denn ein weiteres zwischenzeitlich entstandenes Gerücht besagte, dass noch genau 1 Zug um genau 15 Uhr nach Kaohsiung fährt. Ob wir diesen nehmen oder nicht lieber morgen fahren wollen… oder nicht lieber morgen fahren wollen, oder nicht lieber M-O-R-G-E-N fahren wollen… ?! Wahlweise könnten wir auch morgen fahren…

Und wenn wir heute fahren, müssten wir aber vorher noch was auf die Rippen bekommen. Izn konnte Tante Hsu IV gerade noch mal davon abhalten, draußen bei Jangmi Rindfleischnudeln zu holen. Sie habe aber Angst, dass wir - während der 30 Minuten zum Bahnhof – verhungern. Also wurde dem gerade arglos vorbeischlendernden Sönke gleich ein Stäbchenhappen selbsteingelegter Fischsoße in den Mund gesteckt, und wenn wir schon dabei sind, bekommt Izn auch noch einen Happen. Das Glas steht jetzt übrigens bei uns im Kühlschrank…

Es fuhren jedenfalls den ganzen Tag lang Züge nach Kaohsiung, wenn auch einige weniger als regulär und natürlich etwas langsamer als Tempo 300. Alles wurde wieder gut, und wir sind bestimmt nicht das letzte Mal in Taipeh gewesen.

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